Im Dschungel der Psychologischen Diagnosen

Psychotherapie in Wiesbaden
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WELCOME TO THE JUNGLE...

gröhle einst Axl Rose von den Gun´s and Roses.

 

Wenn man krank ist, kann man sich manchmal auch ganz schön verloren fühlen im Dschungel von Diagnosen, Meinungen und Empfehlungen. Viele Ärzte haben viele Meinungen.

 

Es ist an der Zeit, ein wenig Licht in den Dschungel der Diagnosen bei Psychischen Erkrankungen zu bringen.

 

Die Psyche ist eben nicht der Körper. Wenn mein Knie wehtut und ich zum Arzt gehe, wird der nicht auf die Idee kommen mir auf die Brust zu tippen und zu sagen "Das kommt vom Herz".
Und doch ist es nunmal so, bleiben wir beim Beispiel Knie, dass selbst bei Diagnosen die den Körper betreffen, Zusammenhänge bestehen. Schmerzt das Knie, so könnte der Schmerz auch von der Hüfte oder einer Fußfehlstellung kommen. Ein guter Arzt wird diese Aspekte immer berücksichtigen und Differenzialdiagnostisch arbeiten.

 

Nun möchte ich ihnen gerne eine kleine Geschichte erzählen von Anna (Name fiktiv, die Geschichte hat sich genau so zugetragen).

 

Anna war schon immer ein Hans-Dampf in allen Gassen, sprich, sie war oft auf Achse, hatte ein hohes Arbeitstempo und eine hohe Arbeitsbelastung. Und wenn es mal ruhiger wurde, suchte sie sich garantiert neue Beschäftigungen.

Doch irgendwann war alles zuviel. Anna war an ihrem Limit angekommen. Sie konnte nicht mehr schlafen, kam nicht mehr zur Ruhe, war mit Kleinigkeiten überfordert und brach in Tränen aus.

Klassischer Fall von Burn Out könnte der Hobby-Psychologe jetzt vorschnell diagnostizieren.

Anna suchte Hilfe bei ihrem Hausarzt. Hausärzte sind übrigens sehr oft die erste Anlaufstelle - auch bei psychischen Erkrankungen. Der Hausarzt diagnostizierte eine Mittelschwere Depression. Er überwies

Anna in eine Psychiatrische Klinik.

In der Psychiatrie sollte sie erstmal wieder zur Ruhe kommen und gleich auf die richtigen Medikamente eingestellt werden.

Nach einer kurzen Eingangsuntersuchung, einem 20-minütigen Gespräch mit einer Psychologin  wurde Anna in der einen Tag später stattfindenden Visite als Bipolar II eingestuft. Manie und Depression im Wechsel.

Gleichzeitig schwebte aber immer noch eine Diagnose Borderline im Raum.  Diese wurde von der Klinik-Psychologin favorisiert, aber die Stationsleitende Psychiaterin lehnte diese ab. Ein Politikum sagte die Psychologin zu Anna. Anna war geschockt.

Sie bekam Tabletten damit sie wieder schlafen konnte - Neuroleptika und das machte sie dann auch.

Sie schlief sich in der Klinik aus, nahm am angebotenen Programm teil (Spaziergänge die hochdepressive wieder in die Bewegung bringen sollten, basteln, Gesprächstherapien, Tanztherapie).

Eine Bezugspflegerin fragte immer wieder nach Differenzialdiagnosen wie zum Beispiel ADHS, aber die Klinikärztin hielt dies nicht für notwendig. Sie war sich ihrer Sache sehr sicher.

 

Nach ihrer Entlassung suchte Anna, wie ihr angeraten wurde, einen Psychiater auf. Dieser befragte sie eingehend, aber immer den Blick fest auf den Entlassungsbericht der Klinik und dessen Inhalte gerichtet. Er behielt die Diagnosen der Klinik bei, änderte aber die Medikation.
Neue Tabletten, die noch glücklicher machen? Ja immer doch!

 

Nach einiger Zeit bekam Anna auch einen Therapieplatz. Die Therapeutin gab sich viel Mühe und machte viele Tests. Am Ende standen folgende Diagnosen im Raum: Bipolar (subklinisch), ADHS, Borderline.

Das sind harte Diagnosen.

Aber wenn wir uns das jetzt mal ganz genau betrachten und unser Beispiel vom Knie wieder als Modell nehmen ist folgendes passiert:

 

Anna leidet an einer Reihe von Symptomen. Sie hat bei Ärztinnen und Therapeutinnen Hilfe gesucht und auch bekommen. Jeder dieser Ärztinnen - alles Fachleute, hat ihr  Bestes gegeben Anna zu helfen. Jeder von ihnen hat durch eine ganz eigene Brille, gefärbt von den Erfahrungen und eigenen Schwerpunkten, auf Anna geschaut und unterschiedliche Diagnosen gestellt.

 

Für die Krankenkassen sind Diagnosen wichtig für die Abrechnung. Jeder Patient bekommt einen Diagnoseschlüssel, der anhand eines Manuals, der ICD-10 (demnächst abgelöst durch ICD-11) erstellt wird.

So werden Leistungen abgerechnet, aber auch anhand von bestimmten Leitlinien bewilligt.

 

Manche Patienten freuen sich wenn sie "eine Diagnose" haben. Sie halten damit etwas "in der Hand". Es gibt einen klaren Weg wie ihnen geholfen werden kann.  Ihr Leid bekommt einen Ausdruck, eine Berechtigung.

Das ist durchaus verständlich.

Im Falle von Anna ist aber ein Punkt ganz wichtig:
Die Symptome, die Anna schildert, findet man in mehreren Erkrankungsbildern beschrieben, eben sowohl bei der Bipolaren Störung, als auch bei Borderline und ADHS. Und letzten Endes auch bei Trauma Folgestörungen.

Anna hat schon lange mit diesen Symptomen "funktioniert", das heißt, sie hat Bewältigungsstrategien entwickelt um dennoch ihr Leben zu managen. Damit wird es, speziell bei Erwachsenen, nicht immer eindeutig möglich,  das Eine vom Anderen abzugrenzen. Die Symptome und damit auch die Grenzen verschwimmen ineinander.

 

Ich finde es wichtig und richtig, den Menschen keinen Stempel aufzudrücken "Du bist.....", sondern Ihnen klarzumachen, dass aufgrund der bestehenden Symptomatik(en) bestimmte Behandlungs- aber auch Lebensstrategien die Richtigen sind. Wir sollten den Blick nicht darauf richten Menschen abzustempeln, sondern ihnen Möglichkeiten erschließen mit weniger Leid durch ihren Alltag zu gehen - durch geeignete Therapien, die stärken und Verhaltensalternativen trainieren, aber auch durch geeignete Medikamente (wenn diese notwendig sind).

 

Anna hatte Glück. Am Ende schloss sich bei ihr der Kreis der Diagnosen und sie befand sich in guten Händen. Heute geht es Anna gut.

Das wünsche ich allen Menschen auf ihrem Weg der Heilung - egal ob sie psychische oder körperliche Leiden haben.