Trauma ist nicht gleich Trauma

Psychotherapie in Wiesbaden, Therapeuten-Finder
Photcredits: pixabay

Den nachfolgenden Text habe ich ursprünglich in 4/2020 für meinen persönlichen Blog geschrieben, den es mittlerweile nicht mehr gibt.

 

Ich halte den Text und die darin dargestellten Informationen aber für wichtig. Deshalb veröffentliche ich sie hier noch einmal:

Irgendwie kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass „Trauma“, „traumatisiert sein“ und „Trigger“ ziemliche Modeworte geworden sind.
Aber vielleicht liegt das auch an meiner selektiven Wahrnehmung, die ihren Blick (und die Ohren) immer mehr in diese Richtung lenkt.

 

Oft wird im Alltagsgebrauch solides Halbwissen munter vermengt.

 

Deshalb möchte ich damit beginnen,  eine grundsätzliche Unterscheidung des Traumas aufzuzeigen:
Wir können unterscheiden zwischen einem Schocktrauma und einem Entwicklungstrauma. Es gibt noch eine Reihe anderer Traumen (Generationsübergreifendes Trauma, Soziales Trauma, Sekundärtrauma), die ich hier aber erstmal nicht weiter vertiefen möchte.
Konzentrieren wir uns also auf die beiden ersten, großen Themengebiete.

 

 

Schocktrauma

 

Dem Schocktrauma liegt ein überwältigendes Ereignis zu Grunde. Es passiert (relativ) schnell, überwältigt uns volkommen und ist viel zu viel um es zu verarbeiten und zu bewältigen. Unsere Bewältigungsmechanismen werden komplett außer Kraft gesetzt.
Dies bedeutet nicht, dass es sich um ein todesbedrohendes Ereignis handeln muss. Oft handelt es sich um Operationen, Todesfälle, Trennungen, Autounfälle um hier nur einige Möglichkeiten zu nennen.

 

Allen gemein ist, dass es sich um ein in sich abgeschlossenes, für sich einzeln stehendes Ereignis handelt.

 

Diese Art von Trauma ist nicht selten. Wie man oben an der Art des Traumas erkennen kann, ist jeder Mensch mehrfach in seinem Leben von solch einem Trauma betroffen. Und die meisten Menschen sind fähig damit zu funktionieren. Sie machen es mit sich aus. Manche überwinden es auch einfach im Laufe der Zeit.
Es ist ein Ereignis, das einen bestimmten Zeitraum zur Überwindung bekommt, aber dann sollte doch bitte wieder Normalität einkehren - aus gesellschaftlicher Sicht.

 

Nehmen wir als Beispiel des Tod eines nahen Angehörigen.
Bis vor wenigen Jahren, und vermutlich auch noch heute in vielen Bevölkerungsschichten, war nach dem Tod eines Angehörigen eine gewisse Trauerzeit gesellschaftlich akzeptiert. Die Dauer dieser Trauerzeit richtete sich hierbei unter anderem nach dem Grad des Verwandschaftsverhältnisses. Handelte es sich um den Ehemann/Ehefrau/Lebenspartner_in, dann waren die Anderen schon eher gewillt den eigenen Schockzustand etwas länger zu tolerieren. Wohingegen der Tod eines möglicherweise geliebten Elternteils doch bitteschön recht bald überwunden werden sollte – es gehört doch schließlich zum Leben dazu, dass die Eltern in einem gewissen Alter sterben.

 

Erst in den letzten Jahren hat sich bei Einigen erfreulicherweise eine neue (alte?) Trauerkultur entwickelt, die einen Umgang mit dem Trauma, dem Schock, überhaupt nur ermöglicht. Und zwar in Form eines wirklichen Heilungsprozesses und eben nicht in Form von „ich muss halt wieder funktionieren“.

 

Grundsätzlich kann auch ein solches Schocktrauma behandlungsbedürftig werden. Diagnostisch spricht man von einer PTBS - Einer Posttraumatischen Belastungsstörung.

 

 

Entwicklungstrauma

 

  • Entwicklungstraumen entstehen schon in der Kindheit
  • Die Betroffenen erleben sie meist als Durchgängig
  • Ein Entwicklungstrauma prägt massiv die Entwicklung der Persönlichkeit

 

Auch dem Entwicklungstrauma muss nicht immer eine unmittelbare Todesbedrohung zu Grunde liegen. Auch hier gibt es viele Ursachen.

 

  • Mütter, die keine echte emotionale Beziehung zu ihrem Baby/Kind aufbauen können.
  • Babys die oft alleine gelassen werden (auch Kinder die immer schreien gelassen werden, vgl. Erziehungsbücher der „alten Schule“)
  • Operationen
  • Drogensucht oder Alkoholsucht und deren komplette Bandbreite an Problematiken in der Familie

 

Die Folgen eines Entwicklungstraumas sind vielfältig, so dass ich dem einen eigenen Artikel widmen werde.

 

 

Trauma als etwas Normales

 

Stellen Sie sich vor, Sie haben ein Schocktrauma.
Nehmen wir einfach mal an, Sie wurden überfallen.
Dann hat es aber vor diesem Ereignis noch ein normales Leben gegeben. Sie haben also eine Idee davon, wie das Leben wieder aussehen könnte, wenn Sie diesen Schock überwunden haben.

Diese Idee von einem Leben „davor“ hat ein Mensch mit Entwicklungstrauma nicht.
Für einen Menschen der schon von klein auf dem Terror der zu einem Entwicklungstrauma führt ausgesetzt wurde, hat es ein Leben lang diesen traumainduzierten Stress gegeben. Ich nenne es bewusst „Terror“, denn genauso empfinden es viele Traumatisierte.
Dieser Zustand dauert nicht kurz an und ist dann vorbei, wie eine Welle die über uns schwappt. Nein, dieser Zustand dauert über Jahre und Jahrzehnte an und kann sich in dieser Zeit in jeder Zelle des heranwachsenden Körpers manifestieren.
Dieser Mensch hat niemals etwas anderes erlebt. Für diesen Menschen ist dieses Trauma mit allen körperlichen und psychischen Folgen Normalität.

Oftmals hatte dieser Mensch nicht genügend positive Erfahrungen um Vertrauen und Sicherheit zu erwerben und neu zu erlernen.
Ein anderer wichtiger Punkt ist sicherlich das Gefühl von „So bin ICH“ – denn unsere Selbstwahrnehmung entwickelt sich eben aus der Summe der gemachten Erfahrungen.
D.h. wenn es jetzt, als Erwachsener, diesen so großen wichtigen Punkt nicht mehr gibt – was bleibt dann von dem Selbst noch übrig?

Vertrauen und Sicherheit aufbauen, das neue Selbst etablieren in dem alle Anteile integriert werden können, ist in der Arbeit mit Menschen mit Entwicklungstrauma ein sehr langer und langsamer Weg. Mit Fortschritt, aber auch immer wieder Zusammenbrüchen.

Aber es lohnt sich dran zu bleiben.