erstellt 30. Mai 2023, autthor: Uscha Ennulat
"Gib Worte deinem Schmerz. Gram, der nicht spricht, presst das beladne Herz, bis daß es bricht"
- William Shakespeare, Macbeth
Schon Freud setzte bei der Therapierung von Traumata auf die "Redekur", wie er es nannte.
Und seither folgten Generationen an Therapeuten, die versuchten Trauma durch Reden aufzulösen.
Doch leider ist es in der Realität nicht ganz so einfach - und dies gilt für ein Schocktrauma, aber noch viel mehr für ein Entwicklungstrauma, auf das ich mich hier konzentrieren möchte.
Der Grund hierfür ist, dass wir unsere Gefühle oftmals nicht in Worte fassen können. Wenn dies schon einem gesunden Menschen schwerfällt, um wie viel schwerer muß dies einem Menschen mit einer gewissen psychischen Not erst fallen?
Betroffene finden oft keine Worte, um das was sie erlebt haben, aber vor allem wie sie sich jetzt fühlen, zu beschreiben.
Ein Trauma wird oft als Implizite Erinnerung gespeichert. Solche Erinnerungen können nicht in Worte gefasst werden. Aber dennoch sind sie da. Sie haben einen Einfluß auf das Leben des traumatisierten Menschen.
Doch warum fehlen die Worte?
Das Gehirn übernimmt lebenswichtige Aufgaben, wie die Steuerung von Atmung und Kreislauf. Aber es ist auch in komplexe Vorgänge wie das Lernen und Denken, das Abspeichern von Informationen oder das Verarbeiten verschiedener Sinneswahrnehmungen beteiligt.
Die unterschiedlichen Gehirnstrukturen haben klar abgegrenzte Aufgabengebiete und arbeiten im Idealfall zusammen.
Bei einem Trauma wird der Kortex (Der Gehirnteil der unsere Fähigkeit zu rationalem Denken enthält) weitestgehendst ausgeschaltet. Stammhirn und limbisches System übernehmen. Dies sind sehr alte
Hirnteile, die keine Sprache haben.
Das Erlebte wird anders gespeichert. Wie also sollen Betroffene in Worte fassen was ihnen wiederfahren ist?
Betroffene haben oftmals das Gefühl, dass das erlebte Grauen in Intensität und Stärke von keinem anderen Menschen verstanden werden kann. Wenn Betroffene aber nicht über das Erlebte sprechen können, wird die Isolation in der sie sich befinden, oft noch verstärkt.
Wir können, aber wir wollen oft auch nicht darüber sprechen.
Als traumatisierter Mensch glauben wir, es sei besser, unseren Schrecken, unser Erlebtes, unsere Scham und Trauer, unter Kontrolle zu halten. Nach außen hin der nette Mensch zu sein, damit keine
Nachfragen kommen. Wir hüten unser Geheimnis. Weil wir, je nachdem was wir erlebt haben, unter Umständen niemanden mehr vertrauen können. Wir fühlen uns getrennt von der Welt. Und so kann sich
das Trauma "einnisten". Das kann sogar so weit gehen, dass wir uns dessen nicht mehr bewusst sind, sondern das Trauma nur noch ausagieren - durch den Körper oder unser Verhalten. Das Bewusstsein
ist dann oftmals nicht mehr beteiligt.
Wir halten den Schrecken der sich in jeder Zelle eingenistet hat, aus. Wir containern ihn. Aber das können wir nicht. Nicht auf Dauer. Nicht für Immer. Es
zerstört uns.
Das Schweigen bringt uns in eine Isolation. Und diese Isolation lässt unsere Seele sterben.
Wenn wir uns isoliert fühlen vom Rest der Welt, finden wir meist keine Co-Regulation. Das heißt unser Nervensystem kann sich nicht von außen unterstützt zurück ins Window of Tolerance bringen.
Wie kann ich eine Sprache für das Geschehene finden?
Wir müssen nicht in die Vergangenheit eintauchen und das Trauma neu heraufbeschwören. Es reicht (erstmal) wenn wir lernen, das was JETZT ist zu beschreiben: Was geht im Körper vor? Welche
Gedanken sind da? Welche Gefühle? Das ist der Startpunkt.
Was so einfach klingt, kann ein langer Prozess sein und am Anfang auch recht mühevoll und teilweise auch überwältigend. Traumatisierte brauchen unabdingbar eine*n Therapeutin des Vertrauens,
der/die uns hilft, uns in diesen Momenten zu Co-Regulieren, dh unsere innere Erregung "runterzudrosseln". Nur wenn unser Nervensystem sich in unserem "Window of
Tolerance" befindet, können wir an traumatischen Erinnerungen und Echos aus der Vergangenheit arbeiten.
Wir können, in kleinen Baby-Steps, wieder lernen zu vertrauen. Uns selbst und anderen.
Wenn es den Menschen gelingt, die Dinge zu benennen (ohne dabei ins Detail gehen zu müssen), schaffen sie eine Basis, um mit der Traumaarbeit zu
beginnen.
Indem wir als Erstes lernen, uns selbst unsere Gefühle von Wut, Hass oder Scham zu vergeben, machen wir die ersten Schritte in die richtige Richtung.
Indem wir akzeptieren, dass alles wofür uns die Worte fehlen, in unserem Körper und seinen Reaktionen eine andere Form von Sprache zu finden ist, öffnen wir eine Tür.